Mittelalter Wiki
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Wie der Prozess, so stand auch das Beweisrecht der Germanen unter der Herrschaft des Verhandlungsprinzips, womit zugleich der streng formalistische Charakter des Beweisverfahrens bedingt war.

Der Zweck des Beweisverfahrens bestand nicht etwa darin, dem Gericht die Mittel zu liefern, um sich von der materiellen Wahrheit einer Behauptung oder Tatsache überzeugen zu können; vielmehr sollten dem Gegner gewisse Formalakte vorgeführt werden, aus denen sich für ihn wie für jedermann die Nötigung ergibt, den Beweis als gelungen anzuerkennen.

Beschreibung[]

Der Beweis wurde nicht dem Gericht, sondern der gegnerischen Partei erbracht. Anstelle der freien richterlichen Beweiswürdigung stand der typische Formalismus: das allgemeine Rechtsbewußtsein maß bestimmten formalen Handlungen und Erklärungen ein für allemal Glauben bei, und welche Partei diese Erklärungen und Handlungen zu liefern vermochte, hatte damit den vom Recht verlangten Beweis geführt.

Hier war mithin für eine richterliche Prüfung kein Raum; ob die Beweisführung das gewollte Ergebnis gehabt hat, ist ohne weiteres ersichtlich. Nicht also eine materielle, sondern lediglich eine formelle Wahrheit wird festgestellt; aber weil man von der äußern Form auf den Inhalt zurückschließt, fühlt sich damit der Rechtssinn befriedigt. Daher kann auch der formal gelungene Beweis nicht materiell durch einen Gegenbeweis entkräftet, sondern ihm gegenüber nur behauptet und unter Beweis gestellt werden, dass die Form nicht erfüllt, also kein Beweis geführt worden sei.

Beweismittel[]

Die im germanischen Prozessrecht anerkannten formalen Beweismittel (lex, lag) waren der Eid und das Gottesurteil, von denen jener als Parteieid oder als Zeugeneid, dieses als einseitiges oder als zweiseitiges verwendet wurde (s. Eid, Zeugen, Gottesurteil, Zweikampf). Erst als in der fränkischen Zeit das strenge Formalprinzip gemildert und im Beweisrecht größere Garantien materieller Wahrheit erstrebt wurden, wurden nicht nur jene alten Beweismittel nach bestimmten Richtungen hin verbessert, sondern auch neue eingeführt.

Von diesen neuen Beweismitteln blieben das Gerichtszeugnis und der Inquisitionsbeweis dem königsgerichtlichen Verfahren vorbehalten, während der Urkundenbeweis auch in das der Volksgerichte Aufnahme fand (s. Verfahren im Königsgericht, Jury, Urkundenbeweis). Unter den Beweismitteln galten die einen für leichter, die anderen für schwerer. Der leichteste Beweis war der Zeugenbeweis, schwerer der Eidhelferbeweis, am schwersten der Beweis durch Gottesurteil und unter diesem das schwerste der Zweikampf. Welches Beweismittel gewählt wurde, d.h. also die Schwere des Beweises, hing von verschiedenen Umständen ab, insbesondere kam es darauf an, wie die Klage unterstützt wurde: die Beweise des Beklagten mußten formell die des Klägers überbieten, falls eine Abweisung der Klage gelingen sollte.

Beweisrolle[]

Welche der Parteien zum Beweis zuzulassen sei, bestimmte das Urteil, sei es, dass es als einzüngiges Beweisurteil, sei es, dass es als zweizüngiges Urteil erging (s. Urteil). Dabei war es von jeher ein Hauptgrundsatz des germanischen Prozeßrechts, der z.B. im langobardischen und angelsächsischen Recht ausdrücklich ausgesprochen wurde, dass, wenn die Parteien sich gleich stark gegenüberstanden, d.h. wenn entweder der schlichten, nakten Klagebehauptung die volle Klageverneinung des Beklagten entgegengesetzt wurde, oder wenn Kläger und Beklagter ihre Behauptungen durch einen gleich starken Beweis stützten, dann der Beklagte der Nähere zum Beweise war.

Dies galt nach germanischem Recht als ein Vorzug: der Beklagte hatte im Rechtsstreit die günstigere Stellung, weil er zuerst beweisen durfte (während umgekehrt nach römischem Prozeßrecht der Kläger beweisen mußte, dies aber als Last galt und also auch hier die Stellung des Beklagten die günstigere war, aber aus dem entgegengesetzten Grunde, nämlich weil er nicht zu beweisen brauchte).

Der Beweisvorzug des Beklagten empfahl sich wahrscheinlich u.a. auch deshalb, weil in der Regel bei ihm die bessere Wissenschaft der beweisbedürftigen Tatsache vorausgesetzt werden konnte (Brunner). Somit konnte also der Beklagte in den angeführten Fällen durch seinen Reinigungseid (LeugnungsUnschuldseid) den Klagevorwurf zurückweisen und damit den Rechtsstreit zum Ende bringen. Dagegen ging der Beklagte seines Beweisvorzugs verlustig, wenn er sich gegenüber der unter Anbietung von Zeugen vorgebrachten Klage auf die schlichte Negation beschränkte, oder wenn er zwar Zeugen und Eidhelfer anbot, der Kläger aber eine größere Zahl von Zeugen oder Eidhelfern vorzuführen in der Lage war, wenn er also den Voreid des Klägers zu überschwören vermochte.

Besondere Regeln galten für das Verfahren bei Handhafter Tat und bei den ordalbedürftigen Klagen (s. Gottesurteil). Auch sonst bestanden gewisse Ausnahmen, die aber sämtlich in den einzelnen Rechten typisch gestaltet waren, so dass auch hier die Verteilung der Beweisrolle von ein für allemal feststehenden Grundsätzen abhing, die das Gericht in seinem Beweisurteil ohne Spielraum für freies Ermessen anzuwenden hatte. Zur Erfüllung des Beweisurteils, also zur Führung des Beweises konnte das Gericht die Parteien ebensowenig zwingen wie zur Erfüllung des auf eine Leistung gehenden Endurteils.

Vielmehr musste auch hier der Vertragsweg beschritten werden: die Parteien schließen vor Gericht den Beweisvertrag (s. das unter Urteil über den Urteilserfüllungsvertrag Bemerkte), in dem sie sich verpflichten, den angebotenen und vom Gericht zuerkannten Beweis spätestens binnen der volksrechtlich normierten Frist zu führen und entgegenzunehmen. Die Beweisverhandlung kann, aber muß nicht in einer Gerichtssitzung vorgenommen werden.

Nordeuropa[]

Auch im Norden ist Beweis (vitni, vita, vitsorð) das Vorbringen von Tatsachen, die nach dem geltenden Recht genügen, um dem Gegner gegenüber die Wahrheit der Behauptung als erbracht anzusehen; auch hier ist der Beweis nicht ein materieller, es kommt nicht darauf an, mit allen Mitteln die wirkliche Wahrheit zu erforschen (aschw. sannind léta), sondern ein formeller, es kommt darauf an, dem Gesetze gemäß (at lǫgum) dem Gegner den Beweis nicht schuldig zu bleiben.

Der Beweis wird nicht vom Gericht aufgenommen, sondern von der Partei dem Gegner geliefert. Dieser Grundsatz galt gleichmäßig für Zivil- wie für Strafsachen, doch milderte er sich begreiflicherweise für solche Strafsachen, an denen das öffentliche Interesse stark beteiligt war, schon früh nach der Richtung der materiellen Wahrheit. Insbesondere wurde hier Indizien eine große Bedeutung beigemessen, sei es, dass aus ihnen eine Überführung der Angeklagten entnommen wurde, oder dass sie die Reinigung erschwerten.

Beweismittel[]

Die Beweismittel (isl. gǫgn) sind deshalb ursprünglich grundsätzlich einseitige, dh. von der Partei zu ihren Gunsten vorgebrachte. Dies galt nicht bloß vom Parteieid mit Eideshelfern, sondern auch vom gezogenen Zeugnis. Die Partei, welche diese Beweismittel vorbrachte, lief nur Gefahr, dass Eidhelfer und Zeugen die Mitwirkung weigerten und dass damit die Partei beweisfällig wurde. Dagegen war es ausgeschlossen, dass gezogene Zeugen oder Eideshelfer zugunsten des Gegners auftraten, weil sie nicht dessen Beweismittel bildeten.

Erst beim Erfahrungszeugnis machen sich Spuren einer anderen Auffassung geltend und erst die Jury wird zweiseitiges Beweismittel (sie „fällt" oder „wehrt" berr af oder berr á). Auch das Gottesurteil war dem Norden ursprünglich einseitiges Beweismittel (regelmäßig Ersatz des Reinigungseides). Dieser formale Charakter der Beweismittel schloß eine Abstufung der Güte der Beweismittel nicht aus. Nur geschah sie nicht nach freier Beweiswürdigung, sondern nach gesetzlicher Skala.

Beweis als Recht[]

Bei dieser Natur der Beweismittel begreift es sich, dass der Beweis ein Recht, nicht eine Last war, dass demgemäß in altschwedisch. Quellen vitsord' und vita auch Beweisrecht und damit Vorzug im- Recht überhaupt, 'Recht sich zu behaupten' bedeutet.

Verhältnisses der Beweismittel[]

Hinsichtlich des Verhältnisses der Beweismittel zueinander gehen die west- und ostnordischen Quellen, wie es scheint, auseinander.

a) Nach westnordischem Recht galt das Zeugnis zweier einwandfreier Zeugen höher als ein Parteieid mit oder ohne Eideshelfer. Doch wurde gegen das Zeugnis zumal von Erfahrungszeugen Gegenzeugnis (andvitni) zugelassen. Nur das Gottesurteil und später das Gerichtszeugnis waren unüberbietbar. Die isländische Jury war ein niedrigeres Beweismittel gegenüber den Zeugen. Der Grundgedanke des altwestnordischen Rechts ist, dass Kläger durchdrang, wenn er seinen Anspruch notorisch machte (daher vitafé - 'liquider Geldanspruch'). Als notorisch galt der Anspruch ursprünglich, wenn er durch die Aussage zweier Zeugen bewiesen wurde. Solange dies nicht geschah, konnte ihn der Beklagte eidlich ableugnen (dula, synia) und zwar je nach der Sachlage durch Eineid oder Eid mit Eideshelfern. Auf Island, wo die Jury aufkommt, hat der Kläger, wenn ihm Zeugen fehlen, den Spruch (kviðr) der Jury zu erbringen.

b) Ostnordisches Recht. Für Dänemark ist zweifelhaft, ob der Zeugeneid ursprünglich höher stand als der Parteieid mit Eideshelfern oder ob letzterer das ordentliche Beweismittel (lógh) gebildet hat, gegen welches Zeugen nur bei Ergreifen auf frischer Tat aufkamen und welches nur das Gerichtszeugnis allgemein überwand. Im Vitherlags- und Gilderecht ist jedenfalls das erstere Prinzip maßgebend gewesen und im Laufe der Zeit ist der Vorzug der Zeugen vor den Eideshelfern zumal durch kirchlichen Einfluß allgemein durchgedrungen. Die Jury aber wurde zum höheren Beweismittel und das Zeugnis überwand nie die Eideshilfe.

Auch für Schweden bestehen gleiche Zweifel, die Quellen unterscheiden vitnismál, dulsmál und naemdarmál. Doch zeigen wenigstens die Svearechte den Vorrang der Zeugen vor den Eideshelfern bereits ausgebildet (Uplandsl. Thingm. 9 pr.). Kompliziert werden in den ostnordischen Rechten die Verhältnisse dadurch, dass Zeugen und Eideshelfer vermehrt auftreten, sowohl auf Seiten des Klägers wie des Beklagten. In zahlreichen Einzelfällen treten übrigens bei Indizien Verschiebungen des Beweises oder Änderung der Beweismittel ein.

Quellen[]

Einzelnachweise[]

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