Mittelalter Wiki
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Als Kanzlei bezeichnete man im Frühmittelalter die Behörde, die für die Ausfertigung der Urkunden zu sorgen hatte. Die mittelalterlichen Beamten: Referendar (referendarii), scriniarii, Notar (notarii) und Kanzler (cancellarii) sind jedoch schon in römischer Zeit bekannt.

Beschreibung[]

Wie die Germanen das Urkundenwesen von den Römern übernahmen, so auch manche Einrichtung und Bezeichnung des Kanzleiwesens. Weit verbreitet war der Ausdruck lat. notarius als Bezeichnung für die Privatschreiber (Notar), welche die notae zu schreiben verstanden, aber auch für eine bestimmt organisierte Gruppe der kaiserlichen Beamten, die dem primicerius notariorum unterstanden. Vielfache Anwendung besaß auch die Bezeichnung lat. cancellarius (Kanzler) für einen untergeordneten Beamten, besonders im Gericht.

Völkerwanderungszeit[]

Seit dem 5. Jh. begegnen die Referendare als hohe Staatsbeamte, die beim Kaiser über Petitionen aller Art Vortrag zu erstatten und die Befehle an die ausführenden Behörden zu leiten hatten. Als Expeditionsbehörden selbst fungierten vier eigene scrinia.

In welchem Maß in den auf römischem Boden begründeten germanischen Reichen wirkliche Kanzleien an den Höfen der Monarchen existierten, ist nicht sicher zu erkennen. Am Hofe Theoderichs (451-526) scheint das umständliche Kanzleiwesen der Kaiserzeit bestanden zu haben. Am Hofe der Langobarden und der Merowinger finden sich Referendare vor, weltliche Hofbeamte, die auf verschiedenen Gebieten, auf finanziellen und militärischen, wirkten. Mehrere waren nebeneinander tätig, einer aber vermutlich mit der Hut über das königliche Siegel betraut.

Frühmittelalter[]

An die römischen Verhältnisse knüpfen im Frühmittelalter die der Germanen an. Von einer Kanzlei der geistlichen und weltlichen Großen Deutschlands im ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung kann nicht gesprochen werden. Einzelne Schreiber besorgten gewisse Geschäfte, einer der Hof- und Hausgeistlichen, ein Kapellan; aber von einem organisierten Schreibbürokratie ist im Frühmittelalter nichts zu bemerken. Die Grafschaftsschreiber, die Karl der Große überall eingesetzt zu sehen wünschte, verschwanden nach Auflösung des Karolingerreichs; den Germanen fehlte noch das Verständnis für den Wert des Urkundenwesens.

7. Jahrhundert[]

Die Gerichtsschreiber der Ribuarier hießen seit dem 7. Jh. cancellarii; diese standen mit den verbreiteten römischen Provinzialschreibern in Verbindung. Allerdings konnte bei den Germanen das provinziale öffentliche Schreiberamt trotz wiederholter Anregungen der Karolinger nicht recht gedeihen.

Seit 697/98 rekognoszierten untergeordnete Beamte (Notare), welche die Königsurkunden schrieben, auch mitunter an Stelle eines Referendars. Aber die Kanzleiverhältnisse waren weder bestimmter organisiert, noch war eine geschlossene Behörde, ein wirklich ständig tätiges Bureau anzunehmen.

8. Jahrhundert[]

Seit dem 8. Jhd. erscheinen die Cancellarii als Gerichtsschreiberauch bei den Alamannen. Die Anordnungen Karls des Großen (754-814), dass in jeder Grafschaft cancellarii als öffentliche Schreiber anzustellen seien, wurde allgemein kaum befolgt. Nur im Westen des Frankenreiches leiteten mitunter die cancellarii der älteren Zeit zum Kanzleiwesen der Fürstenhöfe hinüber.

Die Karolinger hatten schon als Hausmeier eigene Kanzleibeamte. Als Pippin 751 zur Königswürde gelangte, fand zwar kein Personenwechsel statt, doch kam es unter ihm zu einer festeren Ordnung. Von 760 an ist ein Vorstand zu beobachten, der, geistlichen Standes, ohne feststehenden Amtstitel - die Bezeichnungen archinotarius, summus notarius, archicancellarius und dergl. begegnen wechselweise - als Leiter des Beurkundungsgeschäfts fungierte.

9. Jahrhundert[]

Ab dem 9. Jh. verflüchtigte sich das alte öffentliche Schreibertum. Anders in Italien. Hier erhielten sich von der römischen Zeit her die provinzialen und lokalen Schreiber, die Tabellionen in der Romagna, die päpstlichen Scriniare im Römischen, die Notare in anderen Gebieten. Sie genügten dem Bedürfnis nach urkundlichen Aufzeichnungen im geschäftlichen Leben. Manche von ihnen wußten sich seit dem 9. Jh. eine kaiserliche oder königliche Autorisation zu verschaffen, es treten notarii regales, notarii sacri palatii und dergleichen auf, es bildet sich ein öffentliches Notariat.

Später entstand unter dem Einfluss römischer Rechtsgedanken die Ansicht, dass die Ausübung des öffentlichen Notariats von der Gewährung des Amts durch eine der beiden universellen Mächte: Kaiser oder Papst, abhängig sei, es erscheint der publicus imperiali auctoritate notarius oder der publicus apostolica auctoritate notarius als öffentlich berechtigte Beurkundungsperson. Dieses Notariat wurde am Ende des 13. und Anfang des 14. Jahrhunderts auch auf deutschen Boden verpflanzt.

Schon unter Karl dem Großen von hohem Ansehen, stieg der "Kanzleivorstand" mächtig empor, beteiligte sich deshalb seit 819 nicht mehr persönlich am Schreibgeschäft, überließ wohl auch unter Ludwig dem Frommen (778-840) und Lothar I. zeitweilig einem der Notare, die gewöhnlich unter der Bezeichnung ihrer geistlichen Würde als Diakone und Subdiakone begegnen, die eigentliche Geschäftsführung, ohne dass es indessen zu einer dauernden Dreistufung des Kanzleibeamtentums: Vorstand, Obernotar und Notare, gekommen wäre.

Naturgemäß traten verschiedene hohe Würdenträger und Vertrauenspersonen des Monarchen mit der Beurkundung in Verbindung, dürfen aber deshalb nicht als Mitglieder der Kanzlei gelten. So auch begreiflicherweise besonders häufig der Erzkapellan, der Vorsteher der Kapelle, der als Vorgesetzter der Hofgeistlichkeit ohnehin in gewissen Beziehungen zur Kanzlei stand. Erst unter Ludwig II. dem Deutschen (840-876) wurde der Abt Grimald von St. Gallen, der in früheren Jahren (833-837) Kanzleivorstand war und dann zum Erzkapellan erhoben wurde, im Jahre 854 zeitweilig, seit 860 dauernd zugleich Chef der Kanzlei: die leitenden Stellungen in Kanzlei und Kapelle blieben seitdem vereinigt.

Und wie schon unter Ludwig dem Frommen (778-840) die steigende Bedeutung des Kanzleichefs einem der Notare zu einer dominierenden Stellung verholfen hatte, so bewirkte schließlich die Vereinigung von Kanzleileitung und Erzkapellanat, dass ein Zwischenamt zwischen Erzkapellan und Notaren ins Leben trat: 868 nahm der Notar Eberhard, der schon vorher als einziger Rekognoszent der Urkunden fungierte und sich über die gewöhnlichen Notare erhoben hatte, den Titel Cancellarius an. Damit war eine neue und schließlich eine dauernde Grundlage der Kanzleiverfassung in dreifacher Abstufung gewonnen worden: ein Erzkapellan, ein Kanzler, mehrere Notare.

Wurde diese Organisation auch unter den Söhnen Ludwigs des Deutschen (840-876) erschüttert, so gebrauchte man doch unter den letzten Karolingern und in den ersten Jahrzehnten des Heiligen Römischen Reiches (HRR) die Bezeichnung cancellarius in recht schwankender Bedeutung.

Auf den ersten Erzkapellan, der zugleich die Kanzleileitung übernommen hatte, auf Abt Grimald von St. Gallen folgte im Jahre 870 Erzbischof Liutbert von Mainz. Damit bahnte sich bereits im ostfränkischen und im späteren Heiligen Römischen Reich eine Verbindung des wichtigsten zentralen Amts mit dem Mainzer Erzstuhl an. Nach dem Tod Ludwigs des Deutschen im Jahre 876 wurde infolge der Dreiteilung des Ostfrankenreichs das Erzkapellanat des Mainzers auf einen Teil Ostfrankens beschränkt - im Reich Karlmanns fungierte zu derselben Zeit dessen erster geistlicher Fürst, der Erzbischof von Salzburg, in dem Karls aber der Schwabenbischof von Augsburg.

Im Reich von Karl III. (876-887) wurde während mehrerer Jahre sogar der Grundsatz, dass ein Bischof die oberste Kanzleileitung innehaben solle, aufgegeben und einem Emporkömmling am Hofe die Würde des Erzkanzlers, vielleicht auch die des Erzkapellans gegeben.

10. Jahrhundert[]

Unter Arnolf von Kärnten (887-899) und Ludwig dem Kind (900-911) war Erzkapellan der Salzburger, der Metropolit jenes Reichsteiles, auf dem der Schwerpunkt der Königs macht dieser letzten Karolinger ruhte. Und er blieb es auch unter Konrad I. (911-918), der nur am Anfang seiner Regierung den Mainzer vorübergehend zum Erzkapellan bestellt hatte.

Wie Heinrich I. (919-936) neue Wege der Politik beschritt, so erkannte er von Anfang an den Vornehmsten der Bischöfe seines Reichs an, und bestimmte den Mainzer, als Erzkapellan.

Im Ostfrankenreich unter Otto I. (936-973) kehrte man ab der Mitte des 10. Jhs., zu der Ordnung zurück, die im letzten Regierungsjahrzehnt Ludwigs des Deutschen fest bestanden hatte. Als unter ihm Italien als zweites regnum hinzukam, wurde eine zweite selbständige Kanzlei am Hofe eingerichtet. So wurde der Trierer Erzkapellan, der im selbständigen Königreich Lothringen 895-900 und auch in der französischen Zeit des Herzogtums (911-925) als Erzkanzler fungiert hatte, unter Otto I. als oberster Kanzleichef für Lothringen neben dem Mainzer Erzkapellan anerkannt.

Der Salzburger Erzkapellan, der unter den drei Regierungen Arnulfs, Ludwigs und Konrads Erzkapellan des Gesamtreiches gewesen war, wurde von 945-953 in Königsurkunden, die sich auf Baiern beziehen, als Erzbeamter angeführt; sogar der Kölner, einst Erzkapellan im selbständigen Königreich Lothringen 895-900, erschien unter Otto I. einigemal als Erzbeamter.

Eine Zerpflückung der Einheit, eine große Gefahr für die Geschlossenheit des Kanzleiwesens drohte. Otto beseitigte diese Gefahr. Als 953 sein Bruder Bruno Erzbischof von Köln und als 954 sein natürlicher Sohn Wilhelm auf den Erzstuhl von Mainz erhoben wurde, verstummten die Ansprüche von Trier und Salzburg, und nach dem Tode Brunos 965 wurde Mainz der einzige Erzkapellan. Seitdem verblieb das Erzamt dem Mainzer Stuhl, bis ans Ende des alten Ostfrankenreichs.

Ähnlich wurde dann nach Ausdehnung der deutschen Herrschaft über das dritte regnum, das burgundische, allerdings erst unter Heinrich III. (1039-1056) und nicht als wirklich dauernd eingebürgerte Einrichtung, eine burgundische Zentralbehörde geschaffen. Schon im 10. Jh. reichte die Wirksamkeit der Kanzler über das Beurkundungswesen weit hinaus, so wurden sie später die wichtigsten Beamten des Kaisers, ja geradezu Träger der kaiserlichen Politik.

Hochmittelalter[]

Und als das intensivere Verkehrs- und Gemeinschaftsleben der deutschen Kaiserzeit aus eigener Entwicklung heraus das begehrte, was die Karolinger den germanischen Stämmen vergebens zu geben gesucht hatten, als die cartae divisae, die Kerbzettel, die sog. chirographa für beweiskräftige Fixierung von Verträgen weitere Verbreitung und als etwas später die besiegelten Privaturkunden ihre große Bedeutung zu gewinnen begannen, da waren es anfangs vornehmlich die Empfänger, welche die Urkunden von beliebigen Schreibern verfassen und schreiben ließen.

11. Jahrhundert[]

Tendenzen einer Vereinigung der zwei bzw. der drei Kanzleien machten sich schon früh unter Otto III. (983-1002) und Heinrich II. (1002-1024) geltend, drangen allerdings erst in den letzten Regierungsjahren Heinrichs V. (1098-1125) dauernd durch: ein Kanzler mit einem Stab untergebener Notare, über ihm drei Erzbeamte als nominell oberste Chefs der Kanzlei, mit Beziehung auf Deutschland, Italien und Burgund. Bis 1044 führte der deutsche Erzbeamte zumeist den Titel archicapellanus, während der italienische und ebenso der burgundische gewöhnlich „Erzkanzler“ hieß.

Das italienische Erzkanzleramt befand sich unter den Ottonen in der Hand verschiedener italienischer Bischöfe. Heinrich II. (1002-1024), der anfangs die italienischen Geschäfte in der deutschen Kanzlei erledigen ließ, verlieh es nach Errichtung einer besonderen italienischen Kanzlei dem deutschen Bischof von Bamberg, Konrad II. (1024-1039) aber dem Kölner Erzstuhl, dem es mit Ausnahme kurzer, auf besondere Umstände zurückzuführender Unterbrechungen bis 1806 verblieb. Das burgundische Erzkapellanat gehörte im 11. Jh. dem Bistum Besangon.

12. Jahrhundert[]

Im 12. und 13. Jh. gehörte das burgundische Erzkapellanat dem Erzbistum Vienne.

13. Jahrhundert[]

Nach dem Interregnum (1254-1273) gelangte das burgundische Erzkapellanat an Trier. Den ständigen Einfluss auf die Kanzleigeschäfte hatten die Erzkanzler längst verloren. Als tatsächliche Chefs fungierten die Kanzler. Erst das Spätmittelalter, besonders die Periode seit dem 13. Jh., führte zur Organisation wirklicher Kanzleien an geistlichen und weltlichen Fürstenhöfen und in den deutschen Städten.

Quellen[]

  • Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 1. Auflage, 4 Bände. Johannes Hoops. K. J. Trübner, Straßburg 1911-1919. Bd. III, S. 8.
  • Handbuch der Urkundenlehre. Band I. 2. Auflage. H. Bresslau, 1912.
  • Urkundenlehre. (Erben, Kaiser- und Königsurkunden des Mittelalter) Band I. Schmitz-Kallenberg, Redlich, 1907. Band III: Redlich, Die Privaturkunden des Mittelalters. 1911).
  • Erzkanzler und Reichskanzleien. G. Seeliger, 1889.
  • Rechtsgeschichte der römischen und germanischen Urkunde. H. Brunner, 1880.
  • Lehre von den Nichtköniglichen Urkunden, H. Steinacker in Meisters "Grundriss der Geschichtswissenschaft". Band I.
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