Mittelalter Wiki
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Der Pfalzgraf (lat. comes palatii, c. palatinus) war zunächst ein königlicher Beamter am Königsgericht. In merowingischer Zeit berichtete er insbesondere an die königliche Kanzlei über die Vorgänge im Königsgericht, worauf dann die Gerichtsurkunde (lat. placitum) formuliert wurde.

Beschreibung

Der Pfalzgraf war in fränkischer Zeit im Gericht auch Vorsprecher des Königs, vorallem bei der Verkündigung des Rechtsgebots, der den König in seiner richterlichen Tätigkeit unterstützte und vertrat. Es kamen auch mehrere Pfalzgrafen nebeneinander vor.

In karolingischer Zeit wurde der Pfalzgraf unmittelbar Vorsteher der neuerrichteten besonderen Gerichtsschreiberei, und an Stelle des Hausmeiers der Vertreter des Königs im Vorsitz des Königsgerichtes, sowie vortragender Minister für weltliche Angelegenheiten. Bestimmte geringere Sachen wurden ihm zugewiesen, so daß sich ein besonderes Gericht des Pfalzgrafen vom Königsgericht abzweigte.

Der Pfalzgraf, der zugleich die Stellung eines referierenden Ministers einnahm, war außerdem zu verschiedenen Geschäften, z. B. als Gesandter, Heerführer und dgl., tätig. In der nachkarolingischen Zeit verschwand die Pfalzgrafschaft im ursprünglichen Sinn. Otto I. setzte als Gegengewicht gegen die Herzöge Stammespfalzgrafen ein, so zuerst in Bayern, dann in Sachsen und Lothringen, die den Königsboten (missi) der karolingischen Zeit entsprachen und auch die Reichseinkünfte einzuheben hatten.

Die Pfalzgrafschaft von Lothringen wurde später an den Rhein verlegt, heißt seit Heinrich IV. die rheinische ("bei Rhein") und kam 1156 an Konrad, den Bruder Kaiser Friedrichs I. An die Pfalzgrafen bei Rhein und zu Sachsen gelangte bei Abwesenheit des Königs oder Thronerledigung das Reichsvikariat und zwar nach der Goldenen Bulle an erstern für die Länder des fränkischen, an letztern für die des sächsischen Rechts.

Der Pfalzgraf bei Rhein gelangte zu besonderer Bedeutung, indem er Stellvertreter des Kaisers als obersten Richters und damit zugleich Richter über den Kaiser war. Das Pfalzgrafenamt wurde wie andre Ämter erblich und gewann mehr und mehr einen territorialen Charakter, so daß sich aus ihm landesherrliche Gewalten entwickelten. Die Pfalzgrafen von Bayern wandelten sich in Herzoge um, die von Schwaben hießen später Pfalzgrafen von Tübingen. Mit der Auflösung des Deutschen Reiches erlosch die Pfalzgrafenwürde. [1]

Hofpfalzgrafen

Hofpfalzgraf (Hofgraf, Hochgraf, lat. Comes palatinus caesarius, Comes sacri lateranensis palatii, Comes altae curiae caesareae et imperialis consistorii) hieß der vom Kaiser zur Ausübung gewisser kaiserlicher Reservatrechte bestellte Beamte, der spätere kaiserliche Richter bis zur Errichtung der Reichsgerichte. Schon im 9. Jh. berichtet Hinkmar von Reims in seiner "De ordine palatii" (Über die Ordnung des Hofes, 882), dass sich am Hofe Pfalzgrafen mit besonderer Bestimmung für einzelne Reichsteile finden (ähnlich wie die österreichischen sog. Landsmannminister). [2]

Anläßlich der Teilungen gab es auch besondere Pfalzgrafen der Teilkönige (Aquitanien, Italien), ein Institut, das sich nachmals nach Böhmen, Polen und Ungarn fortsetzte, wo der Pfalzgraf vorallem als ständische Beschränkung des Landesfürsten z. T. zu sehr großer verfassungsmäßiger Bedeutung gelangte. Der rheinische Pfalzgraf war von Haus aus wegen seines Sitzes, zunächst zu Aachen (nachmals in Heidelberg), zugleich eine Art Hofpfalzgraf, wie der karolingische comes palatinus.

Als solcher war er Stellvertreter des Königs im Hofgericht und richtet sogar über den König. Als Vorsitzender des Königsgerichts bei Verhinderung des Königs gelangte er auch zum Reichsvikariat, der Reichsverweserschaft ('Reichsertreter', von ahd. firwesan - „jemandes Stelle vertreten“) bei Thronerledigung. Als - in gewisser Hinsicht - Nachfolger in der Stellung der fränkischen Herzöge erlangte er auch das Erztruchsessenamt, aus dem seine Stellung als erster unter den weltlichen Kurfürsten, offiziell bis zur Goldenen Bulle von 1356, selbst vor dem König von Böhmen, hervorging.

Großes- u. Kleines Palatinat

Der Inbegriff der Rechte des Hofpfalzgrafen hieß Palatinat (lat. comitiv). Das italienische Pfalzgrafenamt entwickelte sich, -abgesehen von gelegentlichen Titularpfalzgrafschaften in italienischem Gebiet - vergleichsweise spät, teilweise in Verbindung mit der Gewalt der ständigen Königsboten die comites palatini, c. sacri palatii (Lateranensis); ein Institut, das besonders von Kaiser Karl IV. reich entwickelt und seither auch nach Deutschland übertragen wurde.

Das "Kleine Palatinat" (lat. comitiva minor) verlieh das Recht uneheliche Kinder (mit Ausnahme der Fürsten-, Grafen und Freiherrenkinder) zu legitimiren-, Minderjährige, Kirchen und Gemeinden, welche verkürzt worden, in den vorigen Stand zu setzen, Baccalaureen, Lizentiaten und Doktoren der Rechte und der Medizin, wie auch Magister der Philosophie zu ernennen, Poeten zu krönen, Notarien zu machen, bürgerliche Wappen zu verleihen, Vormünder und Kuratoren, Adoptionen, Entlaß aus väterlicher Gewalt zu bestätigen, Dispensationen Alters halber zu erteilen und den Minderjährigen Veräußerungen ihrer Güter und Vergleiche über Alimente zu bestätigen.

Das kleine Palatinat war geringeren Umfanges und meist nur persönlich. Die Befugnisse des Großen Palatinats (lat. comitiva maior) waren besonders die Erteilung von Adel, z.B. Edelleute und Ritter zu ernennen, adelige Wappen zu erteilen, Akte freiwilliger Gerichtsbarkeit, besonders Legitimation und Ernennung von Notaren, evtl. sogar von neuen gewöhnlichen Pfalzgrafen. Dieses Amt war erblich. Die Vollmacht (lat. comitiva) wurde erteilt an Fürsten, Grafen und freie Herren, das kleine Palatinat (lat. comitiva minor) auch an Ritter, Bürger, Stadtrat, Rechtsgelehrte, besonders Universitätsrektoren und Dekane.

So erhielt der Graf Berthold von Henneberg 1310 mit der Fürstenwürde auch die Pfalzgrafenwürde, und fast alle Universitäten, auch einzelne Stadträte, wie der Leipziger, wurden mit dem Recht die Comitive zu erteilen begnadigt; auch erhielten gewisse Fürstenstämme, z.B. das Haus Hohenlohe, die Pfalzgrafenwürde für immer; später aber wurden besonders bürgerliche Gelehrte, vornehmlich Rechtskundige, zu Pfalzgrafen mit Kleinem Comitive ernannt. Zuletzt war die gewöhnliche Pfalzgrafenstelle käuflich, aber auch, da die meisten durch das Palatinat erlangten Rechte durch die Landesgesetze der einzelnen Staaten beschränkt worden waren, von geringer Erheblichkeit. Schließlich wurden die Befugnisse durch den Absolutismus der Landesherren absorbiert.

Reichs- u. Stammespfalzgrafen

Schließlich lokalisierten sich die Hofpfalzgrafen der Provinz vollständig - evtl. auch infolge der Vereinigung mit dem Amt eines ständigen missus ('Königsboten') - zu territorialen Pfalzgrafen, in Italien schon im 9. Jh., in Deutschland in der Ottonenzeit. Ähnlich auch in Burgund, Aquitanien, Franzien und der Normandie. Die deutschen Pfalzgrafen in Lothringen, Sachsen, Schwaben, Baiern und Kärnten wurden wahrscheinlich sogar als ständige Königsboten als Gegengewicht gegen die Stammesherzoge von Otto I. eingesetzt.

So zeigt die Entwicklung des Pfalzgrafentums das Spiegelbild der Entwicklung des Stammesherzogtums. Dabei sticht besonders der (nieder-)fränkische, lothringische Pfalzgraf hervor, d. h. der Pfalzgraf bei Rhein, während gerade das fränkische Stammesherzogtum zuerst vom Staat unterdrückt wurde. In Schwaben, Baiern und Sachsen dagegen, wo sich ein kräftiges Stammesherzogtum entfaltete, verkümmerte die Pfalzgrafschaft. In Böhmen, das von vornherein kein Amtsherzogtum, sondern gleich ein Stammesherzogtum war, gab es gar keinen Reichspfalzgrafen.

Auch in England konnte sich eine Stammespfalzgrafschaft wie die deutsche nicht ausbilden, weil der englische Stammesstaat souverän blieb. Das englische Stammeskönigtum konnte sich nicht selbst einen solchen Konkurrenten schaffen. Die englischen Pfalzgrafschaften waren Markgrafschaft, Lehen, weltliches resp. geistliches Fürstentum.

Von der Tätigkeit der deutschen Stammespfalzgrafen ist am besten belegt die Aufsicht über das königliche Gut, mitunter sogar Vogtei genannt. Aber auch militärische und gerichtliche Funktionen sind bezeugt und die gelegentliche Verbindung von missus ('Königsbote'), nuntius camerae mit comes palatinus verstärkt die spärlichen Belege. Von besonderer Bedeutung wurde der große Territorialerwerb, der eine selbständige Stellung garantierte und als die Herrschaft des Territorialsystems in Deutschland zum vollen Durchbruch kam, den rheinischen Pfalzgrafen unter den ersten Landesherren des Reichs erhielt.

Weit geringer verlief die Geschichte der übrigen Pfalzgrafschaften. Nur die sächsische Pfalzgrafschaft gab für das mit dem rheinischen konkurrierende Reichsvikariat des Herzogs von Sachsen in den terrae iuris saxonici (Goldene Bulle von 1356) die Grundlage ab. Sonst gingen die Pfalzgrafschaften in der Flut des Territorialprozesses unter. Hier lebte auch gelegentlich der Titel fort, oder er wurde schon von vornherein nur als solcher geführt (Ortenburg, Kraiburg).

Europäische Ausprägungen

Nichts zu tun mit dem Pfalzgrafen hat der palatinus archidux (Erzherzog) des österreichischen "Großen Freiheitsbrief" (lat. Privilegium maius) von 1358/59. In Frankreich führte die Pfalzgrafschaft - die übrigens sehr frühzeitig durch die Landeshoheit nivelliert worden ist - gelegentlich zur Pairschaft. In England wurde einmal dem Earl of Chester als Pfalzgrafen das Recht zugeschrieben, über den König zu richten - ein gelehrtes Spiel mit der deutschen Theorie vom Pfalzgrafen bei Rhein als Richter über den König.

Quellen

Einzelnachweise

  1. Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 686.
  2. Hinkmar von Reims, De ordine palatii (Über die Ordnung des Hofes), c. 18. Hrsg. Thomas Gross, Rudolf Schieffer. 119 S. 8º. 1980. ISBN 978-3-88612-387-2. In MGH: MG. LL.4°, Cap. II, S. 523 f. In: BSB - Geschichtsquellen des deutschen Mittelalters
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